Der kleine Giftzwerg

Es war einmal ein alter, kleiner Giftzwerg, der sich auf den Weg in eine bessere Welt machte, um sein Gift endlich loszuwerden und nur noch Zwerg sein zu können. Doch dieser Wunsch gestaltete sich schwieriger als eigentlich gedacht. Denn während er so umherlief, stellte er fest, dass jemand über eine ziemlich lange Strecke irgendeine Säure verschüttet haben musste. Bissige Dämpfe schossen ihm den Riechkolben hinauf, und die gesamte Strecke entlang keuchten die Pflanzen und Blumen um Luft, falls sie dazu überhaupt noch in der Lage waren.
Da dachte sich der Giftzwerg, dass er sein Gift wohl leider nicht auch noch dazu legen durfte, weil diese Strecke offensichtlich wegen Überfüllung geschlossen war - zumindest vorrübergehend.
Doch wie lange sollte der kleine Giftzwerg noch warten, bis auch er an dieser Stelle endlich sein Gift versprühen konnte?
"Nein", dachte der kleine Giftzwerg so bei sich, "ich kann nicht ewig warten. Schließlich möchte ich zu den Lottozahlen pünktlich zu Hause sein. Außerdem würde Irmgard, die kleine Wohlstandsbauchelfe dann wieder Theater machen, was mir einfallen würde, mich überall herumzutreiben..."
Nein, diesen Ärger wollte sich Otto, der kleine Giftzwerg, vom Leib halten.
Also ging er weiter. Er kam an Wiesen und an Wäldern vorbei, an Häuserreihen und an ewig langen Landstraßen, Feldern und Weiden. Doch nirgendwo war Platz für ihn. Immer war jemand schon vor ihm da, um sich seines Giftes zu entledigen. Egal, ob Säure oder Rattengift - alles war bereits vorhanden und ausgekippt.
Irgendwo mitten auf einem Feldweg traf Otto dann auf eine ältere Frau, die ihm mit einem Krückstock in der Hand entgegengehumpelt kam.
"Na, mein Junge", entgegnete sie ihm mit zittriger, kratziger Stimme. "Auf Wanderschaft?"
"Naja, nicht ganz. Aber so ähnlich", antwortete Otto, schon mit leicht giftigem Unterton in der Stimme. "Vielleicht können Sie mir ja weiterhelfen. Ich suche ein kleines bis mittelgroßes Plätzchen, auf dem ich mein Gift abladen kann. Aber ich kann weit und breit nichts dergleichen finden. Alles ist voll belegt."
"Ja, ja, alle Leute haben ihr Päckchen zu tragen und möchten es irgendwo loswerden..."
Die ältere Dame lächelte Otto an. Bei dieser Gelegenheit bemerkte er, dass die Frau kaum noch Zähne im Mund hatte, dafür aber eine Warze auf der Nase und einen dicken Buckel, der sich gewaschen hatte.
"Was trägst du denn für ein Gift mit dir herum, mein Junge?"
"Ich habe leider bei mehreren Angelegenheiten reichlich Wut-Gift aufgenommen und möchte es endlich irgendwo loswerden. Wo bitte kann ich einen Platz dafür finden? Schnell! Ich verliere nämlich langsam die Geduld!"
Die alte Dame beobachtete, wie sich die Pupillen von Otto langsam zu drehen begannen und auch seine Haut sich am ganzen Körper grün verfärbte.
"Au weia", dachte die alte Dame im Stillen. "Das habe ich schon mal im Fernsehen gesehen. Das bedeutet nichts Gutes..."
"Wo ist Platz für mein Wut-Gift?" schrie Otto nun über den gesamten Feldweg und wehte dabei das Tuch der alten Dame vom Kopf. Es landete am Wegesrand direkt in einer großen Pfütze aus Betrugsgift und löste sich umgehend im Nichts auf.
"Junge, Junge, Junge". Die ältere Dame schüttelte mit dem Kopf und zeigte mit dem Finger den Weg entlang. "Am besten gehst du hier immer gerade aus, bis du irgendwann auf einen Leuchtturm zukommst. Dort müsste noch Platz sein für deine Wut."
Der Giftzwerg bedankte sich bei der älteren Frau so gut es eben ging und lief sofort weiter. Es dauerte nicht mehr lange, und er konnte schon das Meeresrauschen hören. Doch dieser Leuchtturm war weit und breit nicht zu sehen. Otto schäumte über vor Wut. Er kochte innerlich und drohte, jeden Moment vor lauter Wut zu platzen.
Er hatte keine Geduld mehr, noch länger nach diesem blöden Turm zu suchen, den es vielleicht sowieso nicht gab und wenn, dann vielleicht erst in 10 km. Nein, das wollte sich Otto, der Giftzwerg, nicht länger antun. Also stapfte er über die Dünen, durch den Sand, bis hin zum Meer. Er schaute nach links und nach rechts. Niemand schien ihn zu bemerken. Und anhand der Fische, die scheinbar eine neue Choreographie einstudierten, indem sie einfach mal mit dem Bauch nach oben schwammen, stellte Otto fest, dass er nicht der erste und sicherlich auch nicht der letzte hier war, der sein Gift mitten im Ozean verteilte...
Und so riss er mit beiden Händen wie ein Exhibitionist sein Mäntelchen auf und ließ den ganzen grün-gelben Schleim aus seinem Bauchbereich in das Wasser plumpsen und hinfortspülen. Als alles Gift aus ihm herausgeplumpst war, wuchs er um mehrere Zentimeter an, und auch seine Wirbelsäule wurde wieder gerade. Deshalb war er von nun an weder Giftzwerg, noch überhaupt ein Zwerg.
Sein Fazit aus dieser Angelegenheit: Umweltverschmutzung macht dein Leben leichter.